top of page
Suche

Stellungnahme des Klima- und Umweltbeirates zum Wiegesystem für Restmüll in Hamminkeln

20210611 Stellungnahme Klimabeirat zum Wiegesystem in Hamminkeln


Aus Umweltschutzgründen ist das oberste Ziel die Vermeidung von Abfällen, gefolgt vom Recycling ressourcenrelevanter Abfallmengen (Grünabfälle und Biomüll, Kunststoffe und Metalle. Zur Motivierung der Abfallvermeidung in den Haushalten nutzen die Kommunen Volumen- oder Wiegesysteme für den Restmüll bei einem gleichzeitigen weiteren Angebot für die Sammlung von recyclingrelevanten Abfällen. Kommunen sind nach dem Abfallgesetz § 9 Absatz 2 verpflichtet, bei der Gebührenbemessung wirksame Anreize zur Vermeidung, Getrennthaltung und Verwertung zu schaffen. Für die Kommunen ergibt sich daraus die Pflicht, ein verursachergerechtes Gebührensystem zu verwenden, welches Anreize zur Müllvermeidung gibt und zur Mülltrennung motiviert. Erstes wird durch die Verwendung von volumen- oder gewichtabhängigen Gebührenerhebung für den Restmüll, letzteres durch das Angebot eines Systems für die Sammlung von Grün- und Bioabfällen erfüllt. Wiegesysteme für den Restmüll sind in NRW seit 25 Jahren im Einsatz, haben sich bisher nicht flächendeckend durchsetzen können, von 396 Städten und Gemeinden in NRW haben nur 20 ein Wiegesystem im Einsatz. Immer, wenn eine neue Ausschreibung der Müllentsorgung ansteht, wird der Sinn aufgrund des größeren technischen Aufwandes (und der damit verbundenen höheren Kosten) von Wiegesystemen kontrovers und emotional diskutiert, Hamminkeln bildet da keine Ausnahme. Bei der Recherche finden sich NRW-Gemeinden, die das Wiegesystem anschließend beibehalten (Wegberg) als auch welche, die das Wiegesystem abgeschafft haben (Neunkirchen- Vluyn). Es wurden bei der Recherche keine NRW-Gemeinden gefunden, die in den letzten Jahren ein Wiegesystem völlig neu angeschafft haben. Zu der Situation in NRW führt die Abfallbilanz NRW für Siedlungsabfälle 2018 wie folgt aus:

„Eine flächendeckende getrennte Sammlung von Bioabfällen im Holsystem (Biotonne bzw. Bioabfallsack) wird von374 der 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen angeboten. In 306 Kommunen (77 %) besteht ein Anschluss- und Benutzungszwang, der sich in 18 Kommunen auf Teilgebiete bezieht. Ein Anschluss- und Benutzungszwang ist überwiegend in den weniger dicht besiedelten, eher ländlich geprägten Regionen des Landes verbreitet. In den stärker verdichteten Regionen und im Außenbereich wird die Biotonne vorwiegend auf freiwilliger Basis angeboten. Dies ist in 65 Kommunen (16 %) und im Außenbereich von 17 Kommunen der Fall. Damit haben rund 17 Millionen Einwohner beziehungsweise 95 Prozent der Einwohner Nordrhein-Westfalens die Möglichkeit, ein Holsystem für Bioabfälle (Biotonne, Bioabfallsack) zu nutzen“….. „Bringsysteme für Nahrungs- und Küchenabfälle wurden im Jahr 2016 in 19 Kommunen (5 %) eingesetzt. Diese können von rund 0,6 Millionen Einwohnern genutzt werden.“1

Hamminkeln hat sowohl bei dem Wiegesystem für die Restmülltonne als auch beim Bringsystem für den Bioabfall ein Gebühren- und Entsorgungssystem gewählt, welches zu den 5 % Ausnahmen in NRW gehört. Es stellt sich die Frage, wie erfolgreich dieses Abfallkonzept bei der Müllvermeidung und den Recyclingquoten ist. Insgesamt ist die Datenlage, was die Wirkung von Wiegesystemen betrifft, schlecht. Eine umfangreiche Studie, die die positiven oder negativen Wirkungen untersucht, wurde trotz intensiver Suche nicht gefunden. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass Hausmüll-Wiegesysteme eine Randerscheinung in der Abfallwirtschaft sind. 1 Abfallbilanz NRW für Siedlungsabfälle 2018, Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes NRW


Aus den wenigen öffentlich zugänglichen Daten ist zu entnehmen, dass die Gemeinden mit Wiegesystem in der Regel kleinere Restmüllmengen haben. Warum das so ist, darüber gehen die Meinungen auseinander, liegt es an der Abfallvermeidung der Haushalte, an der konsequenteren Entsorgung von Sperrmüll oder am „Mülltourismus“, d.h. dass ein größerer Anteil über andere Kanäle entsorgt wird? Dass die Sorgen vor Entsorgung von Hausmüll an der grauen Tonne vorbei wohl nicht unbegründet sind, zeigt die folgende Aufnahme, die vor ca. 4 Wochen auf öffentlichem Gelände in Wegberg entstanden ist (Abbildung 1). Wie groß das Problem in Hamminkeln ist, kann nicht bewertet werden.


Abbildung 1: Mülltonne auf öffentlichem Gelände in Wegberg Die Befürworter der Wiegesysteme führen aus, dass mit der Abschaffung der Wiegesysteme die Müllmengen zunehmen werden, was sicherlich nicht im Sinne des Recyclings wäre. Die Gegner von Wiegesystemen führen aus, dass mit Wiegesystemen die Fehlwürfe in die Wertstoffsysteme zunehmen, was das Recycling erschweren würde und ebenfalls nicht im Sinne einer umweltfreundlichen Entsorgung wäre. Dass das jeweils andere System gerechter wäre, nehmen beide Seiten für sich in Anspruch. Festzuhalten gilt, dass beide Systeme Anreize für die Müllvermeidung bieten, im Falle der Volumensysteme ist das Volumen des Mülls die steuernde Größe, im Fall des Wiegesystems das Gewicht. Da bei der Recherche keine zuverlässigen Studien über die Wirkung von Wiegesystemen auf das Müllaufkommen und die Umweltverträglichkeit gefunden wurden, wurde versucht, anhand der öffentlich zugänglichen Daten eine Bewertung umweltrelevanten Wirkungen des Sachverhaltes vorgenommen. Dabei ist zu beachten, dass vom Klimabeirat keine umfassende, statistisch belastbare Studie durchgeführt, sondern hier durch den Vergleich der Zahlen aus dem Kreis Wesel versucht wurde, Effekte zu erkennen oder auszuschließen. Betrachtet man die Statistik des Kreises Wesel, fällt auf, dass sich die Gesamtmüllmengen der Gemeinden in etwa in dem Bereich der Bundesdurchschnittes bewegen. Von den Gemeinden im Kreis Wesel hatten in 2019 Neunkirchen-Vluyn (NV) und Hamminkeln (H) ein Wiegesystem, 2020 wurde das Wiegesystem in NV abgeschafft. Damit lassen sich zumindest die kurzfristigen Wirkungen des Systemwechsels betrachten. Bei den Gesamtmüllmengen pro Kopf liegen beide Gemeinden verglichen mit den Gemeinden des Kreises Wesel eher im oberen Bereich, wobei die Streuungen bei den Gesamtmüllmengen nicht besonders hoch sind. Bei den Haus- und Sperrmüllmengen lagen NV und H deutlich unter dem Durchschnitt.

Bei der Erfassung von Baum- und Strauchschnitt liegt H an der Spitze, das hier existierende System wird von der Bevölkerung gut angenommen (205,9 kg/E, Durchschnitt Kreis Wesel 38,9 kg/E). Bei den Bio-Abfällen funktioniert das Recycling schlecht, hier liegt H weit unter dem Durchschnitt (H: 15,7 kg/E, Durchschnitt Kreis Wesel: 69,8 kg/E). NV hat ein Holsystem für den Bioabfall und liegt bei 188 kg/E. Alle Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2020 (Abbildung 2, Abbildung 3). Dabei ist zu vermuten, dass in der Biotonne neben Lebensmittelresten z.Teil auch Rasenschnitt entsorgt wird, was die kg/E deutlich nach oben ziehen kann.

Trägt das Wiegesystem in Hamminkeln nennenswert zur Müllvermeidung bei? Dazu folgende Thesen:

1. Die Restmüllmenge in der grauen Tonne lässt sich durch das Nutzerverhalten (Reduzierung der Müllmenge durch bewusstes Einkaufen) nicht nennenswert reduzieren. Die beim Einkauf verursachten Abfälle (Papier, Leichtstoff, Glas, Textilien) werden separat (ohne Mengenbeschränkung) eingesammelt, ein Wiegesystem oder auch Volumensystem setzt hier keinerlei Anreize für die Müllvermeidung beim Einkauf. Es lässt sich aus den vorliegenden Zahlen nicht ableiten, dass die Hamminkelner Bevölkerung sich hier umweltfreundlicher als die Bevölkerung in den Nachbargemeinden verhält. Die Recyclingquoten liegen in H im Durchschnitt des Kreises Wesel. Es lässt sich nicht erkennen, dass das Wiegesystem einen Einfluss auf die Menge an Plastikmüll, Papierverbrauch oder auf die Recyclingquoten hat. Hier eine Reduzierung von Abfall zu erreichen, ist aus Klima- und Umweltschutzgründen anzustreben. Dies liegt größtenteils außerhalb der Möglichkeiten der Kommunen und kann nur durch Regelungen auf Bundes- oder Landesebene (z.B. durch Änderungen von Verpackungsgesetzen (z.B. Verbot von Einwegplastikprodukten)) erreicht werden. Die Nachfrage beim Entsorger Schönmackers hat ergeben, dass Fehlwürfe in den gelben Sack in Hamminkeln nicht häufiger sind als in Gemeinden mit Volumensystemen. Fehlwürfe nehmen dann zu, wenn Leichtverpackungen über Tonnen und nicht über transparente Säcke abgeholt werden. Die Entscheidung für ein Wiege- oder Volumensystem beim Restmüll hat auf die Funktion des Recyclings bei Leichtverpackungen keinen Einfluss.

2. Das Wiegesystem hat sicherlich einen Beitrag geleistet, dass sich für die Grünschnittabfälle Systeme entwickelt haben, die von den Bürgern gut angenommen wurden. Bei Wiegesystemen besteht ein großer Anreiz, schweren Grünschnitt (Rasenschnitt) nicht in den Restmüll zu packen. Bei Volumensystemen kann vermutet werden, dass in der grauen Tonne mehr Grünschnitt landet als in den Gemeinden mit einer etablierten Infrastruktur für Grünschnitt und Wiegesystem. Belastbare Zahlen liegen hierzu nicht vor. Schönmackers hat bestätigt, dass Biotonnen das Restmüllsystem von Grünabfällen entfrachtet.

3. Das Wiegesystem setzt Fehlanreize bei der Entsorgung. Es wird in verschiedenen Berichten ausgeführt, dass Hausmüll nicht nur über die graue Tonne, sondern auch in Papierkörben, auf Autobahnraststätten (beides ist illegal) oder in Nachbargemeinden entsorgt wird. Die Zahlen von 675 Abfallbehälter in Hamminkeln ohne nennenswertes Müllaufkommen2 lassen darauf schließen, dass Hamminkeln hier keine Ausnahme ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich nicht feststellen lässt, wie groß diese Müllmengen sind. Sind diese nennenswert, wird in der Statistik Müllvermeidung angenommen, wo in Wirklichkeit Verlagerung der Entsorgung passiert. Ein Problem entsteht hier eher in den Nachbargemeinden als in Hamminkeln 2 Anlage zum Antrag 19/21 vom 30.4.2021 der FWI-Fraktion


4. Das Wiegesystem führt dazu, dass Abfälle wie Windeln aufgrund ihres Gewichtes zu unverhältnismäßig hohen Müllgebühren führen. Dies hat man in Hamminkeln erkannt und eine getrennte Entsorgung für Windeln aufgebaut. Diese befinden sich aktuell im Industriegebiet, vermutlich auch, weil ein Windelcontainer im Wohngebiet oder vor dem Supermarkt keine Akzeptanz hat. Letztendlich führt es dazu, dass Windeln separat transportiert werden, was mit zusätzlichen Fahrten und zusätzlicher Umweltbelastung verbunden ist. Dabei ist zu beachten, dass Windeln nicht nur bei jungen, mobilen Familien anfallen, sondern auch bei zu Pflegenden, für die der Windelcontainer im Industriegebiet nicht erreichbar ist. Ökologisch hat im Vergleich zu z.B. Leichtverpackungen die getrennte Sammlung von Windeln keinen positiven Effekt, diese werden nicht recycelt, sondern gemeinsam mit dem Restmüll in der Müllverbrennung thermisch verwertet.

5. Die Abschaffung eines Wiegesystems führt mindestens kurzfristig nicht zu einer Verschiebung der Müllmengen, d.h. zu einer nennenswerten Reduzierung der Recyclingquoten. NV hat von 2019 auf 2020 vom Wiegesystem auf ein Volumensystem umgestellt. Es kann festgestellt werden, dass es in 2020 keine nennenswerte Änderung der Recyclingquoten gab. Ob mittelfristig hier Änderungen zu erwarten sind, lässt sich aktuell nicht voraussagen. Man kann vermuten, dass aufgrund gut etablierten und akzeptierten Parallelsysteme für die verschiedenen Müllarten sich die Wirkung in Grenzen hält.

6. Das aktuelle Müllsystem in Hamminkeln funktioniert aktuell schlecht für Bioabfälle. Hamminkeln liegt hier bei der Verwertung von Bioabfällen deutlich unter dem Kreisdurchschnitt. Ursache kann darin liegen, dass Hamminkeln hier auf ein Bringsystem setzt. Gemeinden mit Holsystemen haben hier deutlich bessere Quoten. Dabei ist zu beachten, dass Holsysteme in ländlichen Gemeinden schwieriger wirtschaftlich umzusetzen sind.

Fazit: Das Wiegesystem in Hamminkeln ist eingeführt worden, um Müllmengen zu reduzieren, indem Bürger zu einem umweltfreundlichen Verhalten (z.B. beim Einkauf) angeregt werden. In der Zwischenzeit sind für viele der dabei entstehenden Abfälle Parallelsysteme (Grüner Punkt, Glas- und Papiercontainer, Kleidercontainer) entstanden, die keinerlei Volumen- oder Gewichtsbeschränkung unterliegen und somit hier keinen Anreiz zur Müllvermeidung erzeugen. Auf Müllmengen, die nicht im Restmüll landen, kann weder ein Volumen- noch ein Wiegesystem einen positiven Anreiz haben. Die im Restmüll verbleibenden Mengen lassen sich durch Verbrauchsverhalten kaum reduzieren. Für Abfälle wie Windeln etc. werden aus sozialen Gründen (Benachteiligung von Familien) in Gemeinden mit Wiegesystemen zusätzliche Entsorgungsmöglichkeiten angeboten, die, anders als Papier- und Glascontainer, keine Recycling-Funktion haben, sondern nur der Umgehung des Wiegesystems dienen. Ist dieser Aufwand gerechtfertigt? Damit das sinnvoll ist, muss das Wiegesystem eine nachweislich positive Wirkung auf das Müllaufkommen von umwelt- und klimaschädlichen Müllmengen haben oder die Recyclingquoten nachweislich erhöhen. Dies lässt sich aus den dem Klimabeirat vorliegenden Zahlen aktuell nicht erkennen. Dabei ist zu beachten, dass NRW-weit der Rest-Haushaltsmüll (überwiegend Volumensysteme) nur 38% des Gesamt-Müllaufkommens beträgt und somit nur den kleineren Teil des Müllaufkommens betrifft, wenn man Müllvermeidung als oberste Prämisse ansieht. Vermutlich hätte eine konsequente Sammlung des Bio-Abfalls durch Einrichten eines Holsystems durch höhere Recyclingquoten eine deutlich positivere Wirkung auf die Umwelt als der Unterschied zwischen Volumen- oder Wiegesysteme beim Müll. Dabei ist zu klären, ob ein Wiegesystem parallel zur Biotonne nicht Fehlwürfe in die Biotonne stimuliert. Eine umfangreichere Untersuchung würde hier sicherlich genauere Aussagen ermöglichen. Diese kann vom Klimabeirat nicht geleistet werden, sondern müsste von der Stadt beauftragt werden.





Abbildung 2: Müllmengen der Gemeinden im Kreis Wesel 2019




Abbildung 3: Müllmengen der Gemeinden im Kreis Wesel 2020


Gez. Prof. Dr. Viktor Grinewitschus

Vorsitzender des Klima- und Umweltbeirates der Stadt Hamminkeln


20210611 Stellungnahme Klimabeirat zum Wiegesystem in Hamminkeln

bottom of page